So viel Widerstandskraft ! Bonhoeffer lesen in kritischen Zeiten (6) 3. Mai 2020

Erinnerungs- und Begegnungsstätte Bonhoeffer-Haus
www.bonhoeffer-haus-berlin.de
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Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur;
das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.
Wochenspruch zum Sonntag Jubilate aus 2. Korinther 5,17
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TEXT A

Das Wunder der Auferstehung Christi hebt die Vergötzung des Todes, wie sie unter uns herrscht, aus den Angeln. Wo der Tod das Letzte ist, dort verbindet sich die Furcht vor ihm mit dem Trotz. Wo der Tod das Letzte ist, dort ist das irdische Leben alles oder nichts …
Wo aber erkannt wird, dass die Macht des Todes gebrochen ist, wo das Wunder der Auferste-hung und des neuen Lebens mitten in die Todeswelt hineinleuchtet, dort verlangt man vom Le-ben keine Ewigkeiten, dort nimmt man vom Leben, was es gibt, nicht Alles oder Nichts, son-dern Gutes und Böses, Wichtiges und Unwichtiges, Freude und Schmerz, dort hält man das Leben nicht krampfhaft fest, aber man wirft es auch nicht leichtsinnig fort, dort begnügt man sich mit der bemessenen Zeit und spricht nicht irdischen Dingen Ewigkeit zu, dort lässt man dem Tod das begrenzte Recht, das er noch hat. Den neuen Menschen und die neue Welt aber erwartet man allein von jenseits des Todes her, von der Macht, die den Tod überwunden hat. Der auferstandene Christus trägt die neue Menschheit in sich, das letzte herrliche Ja Gottes zum neuen Menschen … Die Nacht ist noch nicht vorüber, aber es tagt schon … Die Gestalt Jesu Christi ist es, die der Welt siegreich begegnet. Von dieser Gestalt geht alle Gestaltung einer mit Gott versöhnten Welt aus.
Dietrich Bonhoeffer, Ethik als Gestaltung, 1940, DBW 6, 78 ff.

TEXT B

Wie magst Du Ostern verbracht haben? Ob Du in Rom warst? Wie bist du der Sehnsucht nach Hause Herr geworden? … Ich finde, dass die ersten warmen Frühlingstage etwas an mir rei-ßen; das wird Dir ähnlich gehen. Wenn die Natur wieder zu sich zurückfindet, aber das eigene Leben und die geschichtlichen Gemeinschaften, in denen wir leben, noch in ungelöster Span-nung verharren, dann empfinden wir den Zwiespalt besonders stark; oder eigentlich ist es wohl gar nichts anderes als Sehnsucht, und es ist vielleicht ganz gut, dass wir diese wieder einmal stark empfinden; von mir persönlich muss ich jedenfalls sagen, dass ich viele Jahre lang zwar nicht ohne Ziele und Aufgaben und Hoffnungen, in denen man ganz aufging, aber doch ohne persönliche Sehnsucht gelebt habe; und man ist vielleicht dadurch vorzeitig alt geworden. Alles ist dadurch zu „sachlich“ geworden; Ziele und Aufgaben haben heute fast alle Menschen, alles ist ungeheuer versachlicht, verdinglicht, aber wer leistet sich heute noch ein starkes persönli-ches Gefühl, eine wirkliche Sehnsucht, wer macht sich die Mühe und wer verschwendet seine Kraft darauf, eine Sehnsucht in sich auszutragen, zu verarbeiten und ihre Früchte tragen zu lassen?
Dietrich Bonhoeffer, Brief vom 11.4.1944 an Eberhard Bethge, DBW 8, 389 f.

KONTEXT

Das sind zwei ganz unterschiedliche Texte, die sich auf das Wunder der Auferstehung und auf Ostern beziehen. Sie zeigen – nebeneinander gestellt – wie im Leben und Werk Dietrich Bon-hoeffers Kopf und Herz, theologische Erkenntnis und sinnliche Erfahrung zusammengehören. Diese Verbindung hat für mich – und ich denke, auch für viele andere – in der Begegnung mit ihm eine besondere Bedeutung.

Theologische Erkenntnis und sinnliche Empfindung stehen bei Bonhoeffer beide unter dem Vorbehalt des Zwiespalts, der Sehnsucht.

In der Haft lebt Dietrich Bonhoeffer intensiv mit dem Kirchenjahr. Dessen Struktur gibt seinem Aushalten bis zum erwarteten Umsturzversuch inneren Halt. Ein Jahr nach seiner Verhaftung schreibt er am 11.4.1944 an Eberhard Bethge:
„Die Zeit zwischen Ostern und Himmelfahrt habe ich seit langem besonders geliebt. Auch hier geht es ja um eine große Spannung. Wie sollen Menschen wohl irdische Spannungen aushal-ten, wenn sie von der Spannung zwischen Himmel und Erde nichts wissen?“

Wie halten wir den Zwiespalt aus, wenn „die ersten warmen Frühlingstage“ an uns reißen und unsere innere Natur sich danach sehnt, sich der äußeren Natur anzuschließen, wenn uns nur nicht das Virus, das auch zur Natur gehört, daran hindern würde? Wie gelingt es uns in unse-rem Beten und Tun, dass wir uns nicht um uns selber drehen und der vorgeschriebene Abstand von 1,50 m vom Andern zur eingeschriebenen gefühlt unendlichen Distanz wird? Wie bleiben wir einander verbunden und nehmen die Not der nahen und fernen Andern wahr und achten zusammen mit Andern darauf, niemand zurückzulassen?

„Von der Spannung zwischen Himmel und Erde“ zu wissen bedeutet für Dietrich Bonhoeffer, auf die Überwindung des Todes durch den auferstandenen Christus zu vertrauen. Der Zwie-spalt bleibt erhalten, die Sehnsucht bleibt lebendig: „Die Nacht ist noch nicht vorüber, aber es tagt schon.“

In der tagenden Nacht erfahren die Glaubenden die Welt in doppelter Weise: als den Ort der „Vergötzung des Todes“ und zugleich als den Ort des Lebens, in die „das Wunder der Auferste-hung und des neuen Lebens mitten in die Todeswelt hineinleuchtet.“ JUBILATE!

Die Erwartung des „neuen Menschen“ und der „neuen Welt“ ist nicht allein dem christlichen Glauben eigen. Sie begegnet uns auch in anderen Religionen und Ideologien und kann politisch missbraucht werden. Zur Zeit Bonhoeffers ist das im NS-Staat von diesseits her, innerweltlich – mit allen Zeichen der „Vergötzung des Todes“ – geschehen. Die Erwartung „allein von jenseits des Todes her, von der Macht, die den Tod überwunden hat“, ist keine Flucht aus der Diesseitig-keit, sondern diesseitiger Widerstand gegen diesen Missbrauch. Diese Erwartung erinnert an die 1. These der Theologischen Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen:

„Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündi-gung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“

Das „neue Leben“ gewinnt Gestalt in unserer neuen Zuwendung zum Leben. Sie widersteht Kräften der „Vergötzung des Todes“, des Hasses, der Entrechtung, der Gewalt, des Krieges und seiner Vorbereitung. Sie „nimmt … vom Leben, was es gibt“ und wird so der Wirklichkeit gerecht. Sie übernimmt Verantwortung für das eigene Leben und das Leben der Andern.
„Das letzte herrliche Ja Gottes zum neuen Menschen“ ermutigt uns zum Handeln im Bereich des Vorletzten, geleitet von der Vision der „Gestaltung einer mit Gott versöhnten Welt.“

Christus, Licht der ganzen Welt,
nimmt der Finsternis die Macht,
alles wird ins Licht gestellt,
was die Welt gefangen hält.

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Memorial and Place of Encounter Bonhoeffer-Haus Berlin
www.bonhoeffer-haus-berlin.de

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If anyone is in Christ, there is a new creation:
everything old has passed away; see, everything has become new!
Bible for Sunday Jubilate from 2 Corinthians 5:17
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TEXT A

The miracle of Christ’s resurrection has overturned the idolization of death that rules among us … Where death is final, earthly life is all or nothing …
Where, however, it is recognized that the power of death has been broken, where the miracle of the resurrection and new life shines right into the world of death, there one demands no eter-nities from life. One takes from life what it offers, not all or nothing, but good things and bad, important things and unimportant, joy and pain. One doesn’t cling anxiously to life, but neither does one throw it lightly away. One is content with measured time and does not attribute eterni-ty to earthly things. One leaves to death the limited right that it still has. But one expects the new human being and the new world only from beyond death, from the power that has con-quered death.
Within the risen Christ the new humanity is borne, the final, sovereign Yes of God to the new human being … The night is not yet over; but day is already dawning … The form of Jesus Christ alone victoriously encounters the world. From this form proceeds all the formation of a world reconciled with God.

Dietrich Bonhoeffer, Ethics as Formation, 1940, DBW English Version, volume 6, 91 f.

TEXT B

How did you spend Easter? Where you in Rome? How did you manage your homesickness? … For me the first warm days of spring are somehow wrenching, as they probably are for you. When nature comes into its own again but the tensions in our own lives and the historical com-munities in which we live remain unresolved, we feel the split especially strongly. Or it may just be a sense of longing, and perhaps it’s good for us to long for something again. For myself at any rate I must say that for many long years I have been living, not without goals and work to do and hopes that completely absorbed me, but without personal yearnings, and perhaps that makes one old before one’s time. Everything has become too “objective” [sachlich]. Almost everyone nowadays has goals and work to do. It’s all tremendously objectified and thingified. But who today can still afford strong personal feelings, real yearnings, and take the trouble and spend the energy to carry around a sense of longing within him, to explore it and let it bear fruit?

Dietrich Bonhoeffer, Letter from April 11, 1944 to Eberhard Bethge, DBW English Version, vol-ume 8, 351.

CONTEXT

These are two very different texts related to the miracle of resurrection and Easter. When placed side by side, they show how head and heart, theological knowledge and sensual experi-ence belong together in Dietrich Bonhoeffer’s life and work. This connection has a special meaning for me – and I think also for many others – in the encounter with him.

Bonhoeffer’s theological knowledge and sensual sensation are both subject to split, longing.

In prison, Dietrich Bonhoeffer lives intensely with the church year. Its structure gives it inner support especially until the execution of the plot. One year after his arrest, he wrote to Eber-hard Bethge on April 11, 1944:

“I have long had a particular affection for this season between Easter and Ascension Day. Here, too, there is a great tension. How should people endure tensions here on earth when they know nothing of the tension between heaven and earth?”

How do we endure the split when “the first warm days of spring” are upon us and our inner na-ture longs to join the outer nature, if only the virus, which is also part of nature, would not pre-vent us from doing so? How do we succeed in our praying and doing that we do not turn about ourselves and the prescribed distance of 1.50 m from the other becomes the inscribed felt infi-nite distance? How do we stay connected to each other and perceive the needs of the near and distant others and, together with others, take care not to leave anyone behind?

For Dietrich Bonhoeffer, knowing “the tension between heaven and earth” means trusting in the conquest of death by the risen Christ. The split still exists, the longing remains alive: „The night is not yet over; but day is already dawning.“

In the early morning dawn, believers experience the world in two ways: as the place of „the idolization of death“ and at the same time as the place of life into which „the miracle of the res-urrection and new life shines into the world of death.“ JUBILATE!

The expectation of the „new human being“ and the „new world“ is not a unique characteristic of the Christian faith. It also occurs in other religions and ideologies and it can be politically mis-used. In Bonhoeffer’s time this happened from this side, within the world – with all the signs of „idolization of death“ – in the Nazi state. The expectation “only from beyond death, from the power that has conquered death” is not an escape from this world, but resistance against this abuse on this side. This expectation is reminiscent of the first thesis of the theological declara-tion of the Barmen Confession:

“Jesus Christ, as he is attested for us in holy scripture, is the one Word of God which we have to hear and which we have to trust and obey in life and in death.
We reject the false doctrine, as though the church could and would have to acknowledge as a source of its proclamation, apart from and besides this one Word of God, still other events and powers, figures and truths, as God’s revelation.”

The „new life“ takes shape in our new focus on life. It resists forces of „idolization of death“, hatred, disenfranchisement, violence, war and its preparation. It „takes … from life what it of-fers“ and thus does justice to reality. It takes responsibility for the own life and the lives of oth-ers.
“The final, sovereign Yes of God to the new human being” encourages us to act in the area of the penultimate, guided by the vision to be part of the “formation of a world reconciled with God.”

Christ, light of the whole world,
takes power from the darkness,
everything is put in the light
what keeps the world captive.

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