• Das Bonhoeffer Haus in der Marienburger Allee 43, 14055 Berlin

Zur Konzeption der Erinnerungs- und Begegnungsstätte
Bonhoeffer-Haus, Marienburger Allee 43, Berlin-Charlottenburg

Flyer der Erinnerungs- und Begegnungsstätte Bonhoeffer-Haus 

 1        Das Haus der Familie Bonhoeffer

  • 1935 ziehen die Eltern Bonhoeffer in das für den Ruhestand neu errichtete Haus.
    Dietrich bekommt ein Studierzimmer unter dem Dach. An diesem Lebensmittelpunkt in unsteten Zeiten (Finkenwalde, Konspiration) schreibt er Teile seiner Ethik, die Widerstands-Analyse „Nach zehn Jahren“ (Jahreswende 1942/43) und Briefe an seine Braut Maria von Wedemeyer. Am 5. April 1943 wird er im Haus verhaftet. Dietrich und sein Schwager Hans von Dohnanyi werden am 9. April 1945 in Flossenbürg und Sachsenhausen umgebracht, Dietrichs Bruder Klaus und sein Schwager Rüdiger Schleicher werden in der Nacht zum 23. April 1945 in Berlin ermordet.
    Nach dem Tod von Karl (1948) und Paula (1951) Bonhoeffer wird das Haus von der Familie an die Landeskirche verkauft, die es als Zentrum der Studentengemeinde an den Charlottenburger Hochschulen nutzt. Als erster Studentenpfarrer zieht Dietrich Bonhoeffers Freund und Biograph Eberhard Bonhoeffer mit seiner Familie ins Haus.

2        Erinnerungs- und Begegnungsstätte

  • 1987 wird das über 40 Jahre als Studentenwohnheim der Ev. Kirche genutzte Haus durch die Initiative des Synodalpräeses Helmut Reihlen zur Erinnerungs- und Begegnungsstätte. In der Planungsgruppe mit Eberhard Bethge, Bischof Albrecht Schönherr, jüngeren Theologen und Vertretern der Studentengemeinde an der TU kommen vier unterschiedliche konzeptionelle Vorstellungen zusammen: Museum, theologisches Lehrhaus, Werkstatt für Kirchenreform, spirituelle Retraite.
  • Durch den aus kirchlichen Mitteln und durch die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin finanzierten Umbau wird die private und öffentlich zugängliche Nutzung getrennt.
    Die Wohnung im OG/DG wird an den Geschäftsführer des Hauses, den Studentenpfarrer Burckhard Scheffler und seine Familie, vermietet. Öffentlich zugänglich sind der Ausstellungsraum in der ehemaligen Bibliothek, die Bibliothek und das Wohnzimmer im EG und das restaurierte Studierzimmer Dietrich Bonhoeffers unter dem Dach.
  • Die von dem Ost-Berliner Designer Matthias Frach in Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe gestaltete Ausstellung besteht aus neun großen Tafeln, die entlang der Biographie Dietrich Bonhoeffers, kombiniert mit thematischen Schwerpunkten, angeordnet sind. Große Fotos zum historischen Kontext bilden den Hintergrund für Foto-Collagen. Auf die Wiedergabe von Texten wird – fast durchgängig – verzichtet.
  • Von 1987 bis 2017 ist die Erinnerungs- und Begegnungsstätte eine rechtlich unselbständige Einrichtung der Landeskirche. Ein im Haus wohnender Mitarbeiter übernimmt bis 2015, zuletzt mit einer Viertelstelle, die Führungen. Seit 2017 wird die Erinnerungs- und Begegnungsstätte auf der Grundlage eines Nutzungsvertrags mit der EKBO von einem für diese Zwecke gegründeten eingetragenen Vereins (z. Zt. mit 21 Mitgliedern) betreut, dessen Gemeinnützigkeit vom Finanzamt für Körperschaften anerkannt ist.
  • Die Finanzierung der Erhaltung des Hauses und der Arbeit im Haus mit einem jährlichen Bedarf von mindestens 30.000 € (wenn keine großen Maßnahmen für Bauunterhaltung anstehen) geschieht erstens aus der Miete der Wohnung im Haus, zweitens aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden von Besuchenden und Fördernden und drittens, jeweils auf Antrag, durch eine landeskirchliche Kollekte im zweijährigen Turnus.
  • Der Verein wird geleitet vom fünfköpfigen Vorstand, in dem die EKBO durch die Generalsuperintendentin für den Sprengel Berlin, Ulrike Trautwein, und die Internationale Bonhoeffer-Gesellschaft. Deutschsprachige Sektion durch die Pädagogin Dr. Christina Lange vertreten sind. Die ehrenamtliche Leitung, Geschäftsführung und Koordination der Arbeit im Haus liegt in der Hand des Vorsitzenden, Pfr. i.R. Gottfried Brezger, der bereits 1998 von der Kirchenleitung mit der Leitung des Hauses beauftragt worden ist. Unterstützt wird die Arbeit im Haus ehrenamtlich von dem im Haus wohnenden Pfarrer i.R. Hans-Karl Kahlbaum und seiner Frau Silke Tournay, Richterin am Oberlandesgericht Brandenburg.
  • Die Gestaltung der Erinnerung und Begegnung geschieht ehrenamtlich durch die Mitglieder der Begleitgruppe. Zu ihr gehören die Pfarrer i.R. Kurt Kreibohm, Dr. Ulrich Luig und Christian Zeiske und die Religionspädagoginnen Martina Dethloff und Ingrid Portmann. Zusammen mit dem Vorsitzenden übernehmen sie die Führungen, tauschen ihre Erfahrungen aus und entwickeln die Konzeption dieses Lernorts.
  • Die Anmeldungen zu den Besuchen im Haus erfolgen über die Website des Hauses und werden – verbunden mit oft mehrmaligen digitalen oder telefonischen Absprachen – vom Vorsitzenden koordiniert. Flyer oder andere Materialien für die Vorbereitung oder Nachbereitung können per E-mail zugesandt werden.
  • Die Führungen werden in deutscher oder englischer Sprache angeboten und dauern in der Regel zwischen 60 und 90 Minuten. Die Besuchenden werden um eine Spende bzw. einen Kostenbeitrag in Höhe von 5 € pro Person gebeten. Die wöchentliche Öffnungszeit ist samstags von 10-12 Uhr. Zusätzlich wurden weitere 67 Termine an anderen Wochentagen im Jahr 2022 verabredet. Am Ende des Jahres 2022 werden insgesamt über 1200 Gäste aus der Nähe und der internationalen Ökumene das Haus besucht haben.
  • Die weltweite Bedeutung Dietrich Bonhoeffers als Glaubenszeuge, der als bedeutender Theologe entschieden im Kirchenkampf mitgewirkt und in der Konspiration zusammen mit andern dazu bereit war, „dem Rad in die Speichen zu fallen“, ist an diesem historischen Ort in einzigartiger Weise erfahrbar. Das Haus erinnert an das Leben und Denken Dietrich Bonhoeffers in der Bekennenden Kirche wie im politischen Widerstand.
    Wenn wir von den Besuchenden nach den Quellen seines Denkens und Handelns gefragt werden, erinnern wir an drei Beziehungsfelder, die ihn geprägt haben:
  • die familiären Beziehungen mit seinem Freund Eberhard Bethge und seiner Braut Maria von Wedemeyer; dabei war von großer Bedeutung, wie die Frauen in der Familie den Widerstand ihrer Ehemänner, Brüder und Schwäger Dietrich, Klaus, Rüdiger und Hans mitgetragen haben;
  • die ökumenischen Beziehungen, insbesondere zu Bischof George Bell, Chichester / UK, bei seinem Eintreten für das Friedenszeugnis der Kirchen und seine im Bekenntnis begründete Absage an die Vertreter eines völkischen Glaubens in Deutschland
  • und sein Glaube, der in seinen Briefen aus der Haft bewegende Worte findet. Seine Theologie reflektiert – auf die Christus-Beziehung zentriert und von Martin Luther und Karl Barth inspiriert – die konkrete Verantwortung der Christen und der Kirche für die Wirklichkeit Gottes in der Wirklichkeit der Welt. Der Auftrag zur Nachfolge besteht in der Wegbereitung für das Leben der kommenden Generationen in Freiheit und Gerechtigkeit in rechtsstaatlichen Verhältnissen.
  • Viele Besuchende sind durch das Beispiel Dietrich Bonhoeffers angeregt für ihr eigenes christliches Denken und verantwortliches Handeln und verbinden den Besuch mit hohen Erwartungen. Sie kommen als einzelne Interessierte und Forschende, als Eltern mit ihren Kindern, Familien- und Freundeskreise, Schülerinnen und Schüler, Konfirmandinnen und Konfirmanden, Gemeindegruppen und Studienreisende, Studierende im Rahmen eines Seminars und Teilnehmende an Gedenkstättenfahrten. Viele äußern ihr Erstaunen, dass dieser Lebensort des in der ganzen Welt bekannten Theologen Dietrich Bonhoeffer nicht mit einer hauptamtlichen Stelle ausgestattet ist. Die Erwartungshaltung der Besuchenden und die realen Möglichkeiten am Ort liegen weit auseinander.

3        Dringender Handlungsbedarf im Blick auf die Zukunft des Hauses: 

  1. Professionalisierung
  • Das Konzept des Hauses von 1987 als Erinnerungs- und Begegnungsstätte hat sich über eine Generation lang bewährt, stößt aber heute mit der ausschließlich ehrenamtlichen Arbeit an seine engen Grenzen. Der bei der Erinnerungsarbeit vorausgesetzte Wissensstand hat sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm erweitert. Zugleich ist die Erinnerungskultur verstärkt zur Bühne politischer und ideologischer Auseinandersetzungen geworden. Besonders historische Personen, die hohes Ansehen genießen, wie Dietrich Bonhoeffer, sind immer wieder den Versuchen ideologischer Vereinnahmung ausgesetzt, die nach einer kritischen Wahrnehmung und einer verantwortlichen und medial gestützten Gegensteuerung und Vernetzung verlangt. Die bisher vom Vorsitzenden im Umfang von mindestens einer halben Stelle geleistete ehrenamtliche Arbeit kann nicht wie bisher fortgeführt werden. Die Zukunft des Hauses hängt ab von der Professionalisierung durch die Errichtung einer Leitungsstelle für die theologische und didaktische konzeptionelle Entwicklung, Geschäftsführung, Medienarbeit, Vernetzung Koordination und Qualifizierung der weiterhin wichtigen und vielfältigen ehrenamtlichen Arbeit.
    Diese Stelle wird spätestens in den Jahren 2023/24 benötigt.
  • Für die nachhaltige Finanzierung einer Stelle sind zusätzliche Quellen zu erschließen.durch Fundraising, zusätzlich zu kirchlichen Mitteln.
  1. Digitalisierung

Für die Bedeutung des Bonhoeffer-Hauses besteht darüber hinaus eine wichtige Herausforderung darin, die Geschichte des Hauses nicht nur den Besuchern an diesem Lernort sondern auch an anderen Orten weltweit zugänglich zu machen. Der Einsatz digitaler Medien macht es möglich, lokale und globale Erinnerung und Begegnung interaktiv zu kombinieren.

  1. Ergänzung und Aktualisierung

Die Digitalisierung bietet zugleich die Chance, die inzwischen ‚historische‘ Ausstellung von 1987 zu aktualisieren insbesondere durch die Hervorhebung der für den Widerstand bedeutenden Rolle der Frauen in der Familie.

Auch die Geschichte der Bekennenden Kirche, die überwiegend eine Bewegung von Frauen mit männlichen Leitungspersonen war, verlangt nach einer neuen Darstellung aufgrund des historischen Forschungsstands. Außerdem sollen die Umkehrpunkte in Dietrich Bonhoeffers Leben deutlicher hervorgehoben werden: Dazu gehören die ihn prägenden Erfahrungen 1930/31 am Union Theological Seminary und in Harlem, seine folgenschwere Entscheidung, aus dem dreiwöchigen Exil in den USA 1939 in die ungewisse Zukunft in Deutschland zurückzukehren, wie auch das Ringen von Dietrich und Maria um eine gemeinsame Zukunft in Freiheit.

  1. Was kann im Haus gelernt werden?

Komplexe Zusammenhänge können am besten in der Begegnung mit Biographien verstanden werden. Es ist nicht die Geschichte, es sind die Geschichten von Menschen mit den Fragen, die sie bewegt haben und die auch uns und kommende Generationen bewegen können. „Wie wird Frieden“ – die Antwort Dietrich Bonhoeffers auf die selbstgestellte Frage bei der ökumenischen Tagung von Fanø im August 1934 und seine Befürwortung des Tyrannenmords mit seinem Eintritt in die Konspiration 1940 gehören für ihn zusammen. „Wer hält stand?“ Zivilcourage lernen mit der Familie Bonhoeffer – diese Herausforderung hat im Haus der Familie Bonhoeffer, der Erinnerungs- und Begegnungsstätte, ihren ganz besonderen Ort.

6. Dezember 2022 / 30. März 2023
Erinnerungs- und Begegnungsstätte Bonhoeffer-Haus e.V.

Vorstand:
Gottfried Brezger, Pfr. i.R. (Vorsitzender)
Dr. Tobias Korenke (Stellvertretender Vorsitzender)
Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein (im Auftrag der Kirchenleitung der EKBO)
Martina Dethloff, Religionspädagogin
Dr. Christina Lange, Religionspädagogin in Bremen
(im Auftrag der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft. Deutschsprachige Sektion)

 

Nach 20 Jahren