Zur Konzeption der Erinnerungs- und Begegnungsstätte
Bonhoeffer-Haus, Marienburger Allee 43, Berlin-Charlottenburg
Flyer der Erinnerungs- und Begegnungsstätte Bonhoeffer-Haus
1 Das Bonhoeffer-Haus – Erinnerungs- und Begegnungsstätte
der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
Seit 1. Juni 1987 ist das Bonhoeffer-Haus mit dem rekonstruierten Studierzimmer von Dietrich Bonhoeffer und einer ständigen Ausstellung zu seinem Leben und Werk Erinnerungs- und Begegnungsstätte der Landeskirche. Es steht offen für Gruppen und Einzelbesucher aus Stadt und Land und besonders auch für Gäste aus der Ökumene, die sich auf die Spurensuche begeben und sich einladen lassen zur Erinnerung und Begegnung mit dem, dessen Lebensort hier war.
Erinnernd und begegnend bleiben Dietrich Bonhoeffers Leben und Werk unter uns lebendig. In seiner theologischen Erschließung der biblischen Zeugnisse, seiner Sprache existenzieller Frömmigkeit, seiner ökumenischen Weite und seinem politischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus wird er selbst zum Zeugen seines Glaubens, der in Jesus Christus seine Mitte findet. Die Entrechtung und Ermordung von Juden klagt er früh und entschieden an. In der Bekennenden Kirche und in der Ökumene sind seine Entscheidungen nicht mehrheitsfähig. In persönlicher Verantwortung für seinen Glauben geht er den Weg in die Konspiration bis in den Tod. So bleiben sein Leben und Werk auch heute in konkreten kirchlichen und politischen Fragen eine Herausforderung für Glauben und Theologie, für gemeinsames Leben und Gestalten in Gemeinden und Kirchen, für unsere in Christus als der Mitte begründete Verantwortung für den Andern, für die Welt.
Hier, im Elternhaus von Dietrich Bonhoeffer in der Marienburger Allee 43, Berlin-Charlottenburg, das sich die Eltern Karl und Paula Bonhoeffer für ihren Ruhestand 1935 bauen ließen, fanden konspirative Gespräche des Widerstands statt, hier schrieb er an seiner Ethik und hier wurde er am 5. April 1943 von der Gestapo verhaftet.
Es wäre möglich gewesen, in diesem geschichtsträchtigen Haus eine Gedenkstätte einzurichten. Anstelle dessen wurde Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Chance genutzt, in ökumenischer Zusammenarbeit und mauerübergreifend eine alternative Konzeption zu entwickeln: nicht als eine Gedenkstätte, sondern als eine Erinnerungs- und Begegnungsstätte. Diesem Ziel dient auch die ständige Ausstellung mit neun Bildtafeln, in denen Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers vor dem Zeithintergrund dokumentiert sind. Sie entstand im Kontext der Ost-West-Geschichte und hat sich bis heute bewährt.
2 Die Konzeption des Bonhoeffer-Hauses als Ergebnis
eines ökumenischen und mauerübergreifenden Beratungsprozesses
Die Konzeption der Erinnerungs- und Begegnungsstätte wurde in einem partizipativen, generationen- wie fachübergreifenden Diskussionsprozess entwickelt, in dem unterschiedliche kirchenleitende, gemeindliche, universitäre und ökumenische Personen und Institutionen beteiligt waren:
Getragen wurde die Initiative zur Einrichtung der Erinnerungs- und Begegnungsstätte vom Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg [Berlin-West], Prof. Helmut Reihlen, den Wegbegleitern Bonhoeffers Prof. Eberhard und Renate Bethge, sowie Bischof Albrecht Schönherr (Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg [DDR]) zusammen mit Studentenpfarrer Burckhard Scheffler und Claus P. Wagener von der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) an der Technischen Universität & Hochschule der Künste, Berlin [West], die das Haus zuvor als selbstverwaltetes Wohnheim genutzt hatte, sowie auf amerikanischer Seite Prof. Michael Lukens und Prof. James Patrick Kelley von der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft.
Wesentliche Beiträge entstammen dem Vorläufigen Kuratorium Bonhoeffer-Haus unter seinem Vorsitzenden, Pfr. Dr. Rhein (Friedensgemeinde Berlin), hier sind insbesondere Pfr. Dr. Berend Wellmann und Pfr. Manfred Fischer (Evangelische Versöhnungsgemeinde) sowie Prof. Klaus Peter Jörns (Kirchliche Hochschule Berlin) zu nennen.
Die Umbaumaßnahmen im Haus wurden im Rahmen eines studentischen Projektes der ESG TU/HdK Berlin [West] und des Fachbereiches Architektur der TU Berlin unter Leitung von Prof. Peter Lehrecke geplant und begleitet.
Für die Zusammenstellung und Konzeption der Ausstellung waren verantwortlich: Pfr. Hans-Joachim Curth (Evangelisches Bildungswerk Berlin [West]), Karl-Heinz Horn (Ev. Medien-zentrale Berlin [West]), Thomas Koch (Geschäftsstelle der Evangelischen Studentengemeinde in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin [West]), Claus P. Wagener (Evangelische Studentengemeinde an der Technischen Universität & Hochschule der Künste, Berlin [West]), Matthias Frach (Graphiker, Verband Bildender Künstler der DDR).
3 Erinnerung und Begegnung:
Das Haus im Schnittpunkt unterschiedlicher Intentionen
der Bonhoeffer-Rezeption
Die Ordnung der Erinnerungs- und Begegnungsstätte Bonhoeffer-Haus vom 20.12.1988 nennt in § 1 folgende Zielsetzung:
(1) Neben der Erinnerung an Person und Familie Bonhoeffers sollen vor allem das christliche Zeugnis, die
theologische Arbeit, das ökumenische und das politische Engagement Bonhoeffers gewürdigt werden.
(2) Das Haus steht Einzelgästen und Besuchergruppen offen, die entsprechend dem Anliegen der Einrichtung
sich mit Leben, Werk und Bedeutung Bonhoeffers in Vergangenheit und Gegenwart auseinandersetzen
wollen.
3.1 Das Bonhoeffer-Haus –
ein Ort der Landeskirche im ökumenischen Kontext
Dietrich Bonhoeffers Herausforderungen als »Theologe, Christ und Zeitgenosse« (Eberhard Bethge), seine Anregungen zur Nachfolge Jesu im Zeichen der Bergpredigt und seine Anstöße zu einem neuen Nachdenken über die Bedeutung der Christologie für die ›Mündigkeit der Welt‹ und eine ›nichtreligiöse Interpretation‹ sind in der Ökumene, insbesondere in politischen und kirchlichen Konflikten, wie z.B. in Südafrika und Südkorea, weltweit aufgenommen worden. Schon bei der Verwirklichung der Konzeption der Erinnerungs- und Begegnungsstätte 1988 leistete der transatlantische Brückenschlag zu Freunden aus der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft (English Language Section) einen wichtigen Beitrag. Der Austausch wird durch Besuche aus den USA und das Bethge-Residential-Program lebendig erhalten.
3.2 Das Bonhoeffer-Haus –
ein Ort für Besucher aus Gemeinden und Initiativen
Das Bonhoeffer-Haus hat die Aufgabe, Gruppen aus Gemeinden, sowie kirchlichen und christlichen Initiativen von nah und fern bei der Erinnerung und Begegnung mit dem Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers authentisch Raum zu geben. Für Besucher aus diesen Gruppen bietet das Haus Beratung, Begleitung, Information und sinnliche Wahrnehmung bei deren eigenen Fragestellungen. Die Erwartungen, die gerade auch theologisch nicht vorgebildete Menschen mitbringen, bestimmen die Agenda des Hauses (mitunter auch in improvisierter Form). Die Führung durch die ständige Ausstellung und das rekonstruierte Arbeitszimmer Dietrich Bonhoeffers wird durch thematische und spirituelle Angebote von seiten des Hauses ergänzt. Zu besonderen Anlässen wird zu Foren, Gesprächen und musikalischen Veranstaltungen im Haus eingeladen. Immer wieder besuchen auch offizielle Gäste der Landeskirche das Haus.
3.3 Das Bonhoeffer-Haus –
ein Ort für das Gespräch über wissenschaftliche Fragestellungen
Das Bonhoeffer-Haus bietet zugleich einen eindrücklichen Raum für eine praxis-orientierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers und den darin begründeten Herausforderungen, die von der Kirche und Theologie immer wieder neu konkret wahrgenommen und angenommen werden müssen. Personelle Verbindungen vom Kuratorium zum wissenschaftlich-universitären Bereich und die Bereitstellung der Möglichkeiten für wissenschaftliches Arbeiten im Haus fördern das wissenschaftliche Gespräch, das sich an diesem Ort durch die Nähe zur Biographie Dietrich Bonhoeffers inspirieren lässt.
3.4 Das Bonhoeffer-Haus – eine Herausforderung zur Begegnung
Das Bonhoeffer-Haus ist einer der wenigen Orte in unserer Kirche, an denen die Vermittlung unterschiedlicher Zugänge aus gemeindenahen lebenspraktischen bzw. wissenschaftlichen akademischen Intentionen zu den Kernaufgaben gehört. Denn zur Begegnung mit dem Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers gehört die Begegnung von Menschen, die von unterschied-lichen Rezeptionslinien herkommend aufeinander zugehen. Dietrich Bonhoeffer zentriert den Glauben in seiner Vielfalt in Jesus Christus als der Mitte. Von dieser Mitte her können, didaktisch unterstützt, Wege zu einer Verständigung gefunden werden, die auch und gerade dem säkularen Diskurs den Weg bahnt. Diese Absicht könnte auch durch den fachlichen Austausch mit anderen kirchlichen und außerkirchlichen Trägern über ihre pädagogischen Erfahrungen in der Erinnerungs- und Begegnungsarbeit gefördert werden.
3.5 Das Bonhoeffer-Haus – eine Herausforderung zur Erinnerung
Das Bonhoeffer-Haus ist zugleich ein Ort, an dem Erinnerung durch historische Dokumentation wachgehalten wird. Es wäre wichtig, die derzeitigen im Haus zur Verfügung stehen-den ehrenamtlichen Arbeitskapazitäten zu verstärken, um neben der Begleitung und Betreuung der Besucher im Haus das umfangreiche Archiv von Gesprächen mit Zeitzeugen aufzuarbeiten, den Katalog zweisprachig zu aktualisieren, die Internetpräsentation auf den gewünschten Stand zu bringen, die Öffentlichkeitsarbeit zu intensivieren und die Kooperation mit anderen in der Erinnerung und Begegnung engagierten Partnern im Bildungsbereich zu pflegen und zu erweitern.
Vom Kuratorium beschlossen am 22.11.2007
